Alt und Neu

Die Dissertation, 1967
Revitalisierung einfacher historischer Wohn- und Zweckbauten
Zwei Projekte

Aus Analytische Bausteine Seite 120

Nikolauszeche

Die sozialen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und baulichen Momente der beiden behandelten Einzelobjekte haben die mangelnde Funktionstüchtigkeit für unser heutiges Leben aufgedeckt. Die Wurzeln für dieses Versagen gehen weit zurück. Sie sind bewirkt durch die Wandlungen im menschlichen Leben in den letzten hundert Jahren. Das Haus des Kults (die Nikolauszeche) und das Haus für den leibeigenen Bauern sind in die Phase des Verlustes (Abbruch) der historischen Substanz getreten. Die Erhaltung dieser einfachen Objekte ist nur über die Wiederbenützung durch Menschen möglich, was zugleich heißt, vom musealen Denken abzurücken und dem Leben echte Priorität einzuräumen. Um nun die historische Substanz zu verlebendigen und mit den Vitalforderungen unserer Zeit zu verbinden, ist eine in die Zukunft blickende, gestalterische Idee notwendig. Diese erfaßt nicht nur das Dorfbild, um es zu erhalten oder zu erneuern, sondern ist auch mit einer echten Umstrukturierung in der Tiefe der Grundparzellen (Besitzgrenze) verbunden. Bei einfachen historischen Wohn- und Zweckbauten ist die Stellung des Einzelobjektes in seiner Umgebung (im Ensemble) von wesentlicher Bedeutung. Der Verfasser hat für die Rolle des Objektes und den Bereich der Wechselwirkung im Ensemble den Begriff des Ausstrahlungsbereiches verwendet. Dieser kann gestalterischer, wirtschaftlicher, soziologischer und geistiger Art sein. Die Untersuchungen wurden in der Zone des gestalterischen Ausstrahlungsbereiches der beiden Objekte vorgenommen. Es ergaben sich dieselben Zusammenhänge zwischen den soziologischen Zuständen und der baulichen historischen Substanz wie beim Einzelbauwerk. In keinem Falle konnte eine Pflege der historischen Substanz aus Gründen der Ästhetik gefunden werden. Die wesentlichen Gründe für dieses Versagen liegen in der falschen Interpretation des Begriffes „Tradition“ als etwas Lebloses. An diesen beiden Objekten sollte die Möglichkeit der gestalterischen Beherrschung des Problems von der Ordnung im Großraum aufgezeigt werden.

Menschliches Leben hatte für den einzelnen wie für die Gemeinschaft bisher den Vorzug, sich in geordneten Räumen zu vollziehen.

Diese Ordnung im Haus und in der gesamten Dorfstruktur steht durch das Auflösen alter traditioneller Begriffe durch die agrarbestimmte Gesellschaft vor der Zerstörung. Bauten haben in der Regel eine längere Lebensdauer als gesellschaftliche Strukturen. Eine Aufgabe der Revitalisierung ist das Abstimmen der alten historischen Bausubstanz auf die neue Gesellschaftsstruktur. Im Zuge dieser Gesellschaftsdynamik geht das Verständnis für den inneren und überdauernden Substanzgehalt oft verloren. Die Einsicht in das innere Gefüge von Dorf- und Hausgliederungen wird nicht mehr weitervererbt und weitervermittelt. Kein Wunder daher, wenn Neubauten wie Fremdkörper beziehungslos in den Dörfern herumstehen und immer mehr die Verschmelzung der verbleibenden Dorfreste zu einem harmonischen Ganzen erschweren.

Unsere Aufgabe müßte es sein, eine Verbindung zwischen Alt und Neu dergestalt zu verwirklichen, daß die alte historische Bausubstanz auf dem Wege einer echten Wiederbelebung (Revitalisierung) mit der neuen Gesellschaftsstruktur übereingestimmt und zusammengefügt wird. Diese Arbeit behandelt an zwei Beispielen die Revitalisierung bereits aufgegebener Objekte, die vor dem Abbruch standen. Solche Objekte können nur dadurch gerettet werden, daß ihnen die Funktion, in der menschliches Leben sich erfüllen kann, wiedergegeben wird. Es muß etwas Neues geschaffen werden. Der Lebensraum muß neu geordnet werden. Den Benützern müssen nicht nur die modernen Mittel der Technik und Kommunikation in allen Lebensbereichen zur Verfügung stehen, sondern dieses „Neue“ muß unserem modernen Weltgefühl entsprechen. Diese neue Ordnung verlangt die Zusammenschau von Vergangenheit Gegenwart und Zukunft zu einem unteilbaren Ganzen in einer gestalterischen Idee, nämlich das Verstehen der Vergangenheit in ihrer historischen Bedeutung und ihrer Verlebendigung (Tradition), das Erkennen der Vitalforderungen der Gegenwart und das Erfassen der Zukunft in prospektiver Haltung. Gebaute Räume sind immer auch Selbstdarstellung des Menschen, seiner Zeit und seines Lebens. Die Selbstdarstellung spiegelt unser Bewußtsein oder unsere Bewußtlosigkeit gegenüber der geschichtetragenden Zeit.

Großen Widerstand gegen die Revitalisierung einfacher Wohn- und Zweckbauten leistet die Gesellschaft, der eine lebendige Beziehung zur Geschichte weitgehend fehlt.

Unverständnis und Unvermögen gegenüber der Revitalisierung wurzeln in dieser Entfremdung. Für die Revitalisierung eines Ortes ist eine traditionsbewußte, moderne Gesellschaft notwendig; diese ist erst in Bildung, sodaß die Aufgabe auf den einzelnen zurückfällt. Diese einzelnen müssen kraftihrer Persön lichkeit eine Wertung der historischen Substanz von Vergangenheit und Gegenwart für die Zukunft vereint sehen, um die gestalterische Idee in sich zu kristallisieren.

Nur dieser Weg verbürgt, daß Zeit und Raum zu einer Einheit verschmelzen. Zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft besteht ein Spannungsraum, in welchem die gestalterische Idee liegen muß. Dabei läßt dieser Raum viele Lösungen zu, wobei jedoch das Prinzip der Einheit dieser Idee jeweils gewahrt bleiben muß. Bei der Revitalisierung eines stilreinen Bauwerkes (z.B. eines Schlosses) wird die Gestaltungsidee natürlich knapp an der Vergangenheit liegen. Die Vergangenheit selbst herzustellen wäre die Restauration, bei der die Frage des Originalzustandes auftritt und das Leben sich den historischen Räumen anpassen muß, während bei der Revitalisierung die historischen Räume unserem modernen Leben angepaßt werden müssen.

Bei einem baulichen Kontinuum ist der Originialzustand immer dann erreicht, wenn das Werk eine geschlossene Einheit in seiner Zeit darstellt. Bei einfachen Zweckbauten wird die gestalterische Idee nahe an der Gegenwart liegen müssen, weil die modernen Lebensforderungen nicht zu umgehen sind.

Historische Formelemente allein vermögen den nötigen Spannungszustand unter den einzelnen Teilen nicht herzustellen. (Das Zusammentragen noch so schöner alter Elemente führt bestenfalls zu einem theatralischen Bild) Die Revitalisierung ist ein dynamischer Prozeß, der durch Schematisierung und Reglementierung eingeengt würde. An den zwei Fällen wird die Notwendigkeit der gestalterischen Idee und Prinzipien der Ordnung bei der Revitalisierung gezeigt.

Putz

Der alte Putz als Dokument der Baugeschichte und belebendes Element der Fläche

Der Putz wurde sorgfältig erneuert, dabei nur die schadhaften Flächen ersetzt, damit die Lebendigkeit der alten Struktur erhalten bleibt. Die raumbildenden Kanten, z.B. die Grate der Kreuzgewölbe oder die Gewölbeanläufe, wurden durch Kennzeichnung vor dem Abschlagen gesichert und nur die Flächen dazwischen mit neuem Putz ergänzt. Sie sind eine wichtige Information über das Wachstum eines Hauses und in dieser Differenziertheit nicht wieder herstellbar.