Im Denkstil der Evolution

aus Analytische Bausteine, Seite 24

Der Mensch ist als Entwurf von der Natur her gesehen Kultur und von der Kultur her Natur. Da beides miteinander verbunden ist, kann er sowohl mit der Strategie der Natur (Evolution) als auch mit seiner gesamten kulturellen Erfahrung ideell und konzeptionell arbeiten. Das Ergebnis sind aus dem Verständnis der Evolution geborene Baukulturen. Durch das Nachdenken über die der Natur innewohnende Strategie des Überlebens und Darstellens gewinnt die Baukultur ihren alten ethischen Auftrag zurück – die Sicherung des menschlichen Seins. Die Vormachtstellung der historischen Stile geht zu Ende, nicht aber ihre kulturellen Wesenszüge. Vorbild wird die Natur mit ihrer unbegrenzten formalen Vielfalt und den damit verbundenen, genialen Lebensentwürfen. In den 60er, 70er Jahren wurden die Architekten durch den Höhenflug der theoretischen Wissenschaften motiviert, Anschluß zu finden. Es wurden wertneutral die Grundlagen für eine Bauaufgabe erhoben. Man nannte dies „Grundlagenforschung“. Es war aber eine Materialsammlung.

Kreative Wissenschaft jedoch wertet die Fakten und versucht, ein Ziel zu verfolgen. Auch wenn dies nur erahnt wird. Die riesige Sammlung von Grundlagen ohne Bezug zur Aufgabe war jedoch nicht in den Entwurf einzubinden und löste sogar eine Krise aus. Die eigene Arbeitsweise widersprach diesem Vorgehen. Als Lehrer war ich herausgefordert, meine eigene Arbeitsweise zu durchdenken und klar zu formulieren. Die Aufgabe wird im Kopf bearbeitet. Es wird versucht, in nebelhaften Konturen einen Lösungsansatz zu finden. Im Regelkreis eingebracht, werden rationale und irrationale Elemente geprüft und bewertet Unbrauchbares ausgestoßen, bis sich durch einen Einfall (Fulguratio) die Idee darstellt.

In einem Vortrag im Audimax entwickelt der Nobelpreisträger Eigen anhand seines Buches „Das Spiel“ die Evolution der Welt. Aufregende Erkenntnis, der Mensch kann gezielt wie die Evolution denken und handeln. Manfred Eigen weist nach, daß auch unsere Welt nicht alle Möglichkeiten der Entwicklung und der damit verbundenen Darstellung genutzt hat. So wandern die überschüssigen Ideen in den Zettelkasten des Schöpfers für eine neue andere Welt – Projekt – zurück.

Die harten Daten der Naturwissenschaften und die weichen Daten der emotionellen Erlebnisse haben denselben Warheitsgehalt und werden nur durch die holografischen Module des Gehirns zusammengefaßt. Auf dem Papier erfolgt die bleibende Darstellung des Erfahrenen und des Erlebten und die Überprüfung des Gedachten. Mit dieser Anstrengung öffnen sich die Dinge, und wir besitzen die Chance, alles herauszulesen oder hineinzulegen. Die schöpferische Synthese ist eine Zusammenschau von der Vielheit zur Einheit. Es ist ein Miteinander zwischen dem Ort, dem Zweck der Form und der Farbe usw. Es besteht eine Identität von innen und außen, d.h. von Sinn und Form. Es reicht über das historische Bewußtsein, über das Gedachte und Gebaute hinaus und spiegelt die Vielfalt der Schöpfung. Zur Selbstdarstellung, die laut Portmann ebenfalls als Überfluß in der Natur vorhanden ist, gibt es einen formalen Beitrag zum Ausdruck, zum Merkmal, zur Merkfähigkeit Dieser Ausdruck ist ein wichtiger Faktor des eigenen Selbstverständnisses.